ES&T: Deutschland spielt eine größere Rolle in der Welt. Glauben Sie, dass Berlin dafür bereit ist? Ischinger: Vor drei oder vier Jahren wäre meine Antwort „nein" gewesen. Aber die Dinge haben sich schnell verändert. Bis vor Kurzem konnte man nur wenige Reden von Angela Merkel finden, die sich mit der Verteidigung beschäftigen. Das hat sich geändert. Sie hat das bekannte NATO-Ziel von zwei Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben akzeptiert, das im Jahr 2014 auf dem Gipfel von Wales beschlossen wurde. Und unser ehemaliger Bundespräsident Joachim Gauck sprach vor der MSC 2014 von der größeren Verantwortung, die Deutschland in Zukunft übernehmen müsse. Also haben sich die Dinge verändert. Nachdem ich nun das Ergebnis der französischen Wahlen gesehen habe und auf unsere Bundestagswahl blicke, denke ich, dass wir vor einem entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der EU stehen, in der diese als Sicherheitsanbieter interessant werden kann. Großbritannien hat in der EU oft verhindert, dass Schritte in Richtung eines Verteidigungsbündnisses unternommen wurden. Jetzt kann die EU beginnen, kreativer zu planen. Es macht keinen Sinn, über Sicherheit in deutschen, französischen oder italienischen Begrifflichkeiten nachzudenken. Wir müssen das Prinzip der europäischen Integration nun auf die Verteidigung ausdehnen, so wie wir es vor Jahrzehnten auf den Handelsverkehr angewendet haben.
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