Betriebliche Übung: Vertragstheorie oder Fiktion von Willenserklärungen?

摘要

In der Rechtsprechung herrscht die zunächst begrüßenswerte Tendenz, bei der Beurteilung der betrieblichen Übung einheitlich von der Vertragstheorie auszugehen. Diese Tendenz fuhrt auf der einen Seite zu einer gesicherten und nachvollziehbaren Beurteilung der wiederholten Gewährung jährlicher Sonderzahlungen und der negativen betrieblichen Übung. Auf der anderen Seite ist allerdings zu beobachten, dass sich das BAG in Fällen, in denen sich ein noch nicht begünstigter Arbeitnehmer auf die betriebliche Übung beruft, in Widerspruch zu der von ihm praktizierten Vertragstheorie setzt. Die Entscheidungen des BAG zeichnen sich durch die formelhafte Wiedergabe der Vertrags- theorie in den Obersätzen aus, ohne dass sodann eine hinreichende Subsumtion des konkreten Sachverhalts unter diese Obersätze erfolgt. Betrachtet man die Obersätze, so scheinen auch diese Fälle nach der Vertragstheorie lösbar zu sein. Tatsächlich aber wird in den Entscheidungsgründen der vertragliche Anspruch aus betrieblicher Übung nicht aus einem konkluden-ten Vertragsschluss, sondern vielmehr aus einer Fiktion von Willenserklärungen abgeleitet. Die Rechtsprechung lässt sich im Ergebnis in ihrer Beurteilung mehr von der Langjährigkeit und wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Übung als von der Rechtsgeschäftslehre leiten. Ein „allgemeiner Erfahrungsgrundsatz", nach dem Begünstigungen im Betrieb allgemein bekannt werden sollen, erhält dabei den Charakter einer Hilfskonstruktion, um einen Anspruch nach Maßgabe der betrieblichen Übung begründen zu können.