Politische Anwälte?

摘要

Noch ein Buch zu den Nürnberger Prozessen? Man könnte meinen, es lägen genügend Publikationen zum sicherlich am besten untersuchten Prozess der Justizgeschichte vor. Ganze Bibliotheken füllen inzwischen die Dokumentensammlungen, Erinnerungen, Überblicksdarstellungen oder biografischen Analysen zum Internationalen Militärtribunal (IMT) bzw. zu den zwölf Nachfolgeprozessen (NMT). Welcher Sachverhalt soll also erneut erörtert, welche dunkle Nische noch ausgeleuchtet werden? Die Studie von Hubert Seliger, die 2014 an der Universität Augsburg als Dissertation eingereicht wurde, zeigt jedoch mit großer Deutlichkeit, dass die Forschungslücken zu den Prozessen größer sind als angenommen. Schon einleitend stellt Seliger fest, dass sich die Forschungsliteratur bislang eher überblicksartig und täterorientiert zeigt. Zudem bestimmten die damaligen Akteure bzw. Prozessbeteiligten die Reflexionen und Diskurse zu den Prozessen lange Zeit mit. Sie entwickelten auf diesem Weg eine geschichtspolitische Wirkung, die das Bild von »Nürnberg« teilweise noch immer bestimmt. Aber gerade diese beiden Umstände nutzt Seliger gekonnt zu seinem Vorteil. Er beschäftigt sich mit einer Akteursgruppe der Prozesse, die Norbert Frei in seiner Studie zur Vergangenheitspolitik der frühen Bundesrepublik am Rande bereits als »pressure-group« bezeichnet hatte: die Nürnberger Verteidiger. Zwar wurden Hans Laternser und seine Verteidigungsführung in einem Beitrag des 2013 von Kim Christian Priemel und Alexa Stilla veröffentlichten Sammelbands erstmals untersucht. Dennoch wurde die »pressure-group« bisher noch keiner systematischen und vergleichenden Analyse unterworfen. Bereits im Titel der Arbeit greift der Autor seine These auf. Er geht der Frage nach, ob die Anwälte einzig als juristische Vertreter ihrer Mandaten oder als »politische« Akteure aufgetreten sind und damit als »public historians« die öffentliche Auseinandersetzung um das Symbol »Nürnberg« und den Umgang mit dem NS-Regime beeinflusst haben.